Die Krise des Vereins als Motivation?

Vor 20 Jahren war die ausdrückliche politische Unterstützung der sandinistischen Revolution das übergeordnete Ziel des Engagements, die Projektarbeit letztlich auch der Versuch, die Position der FSLN in San Rafael zu stärken. Dies ist Geschichte, steht heute jedenfalls nicht mehr im Vordergrund. Was veranlasst junge Menschen heute, ein viertel Jahrhundert später, in den Städtepartnerschaftsverein einzutreten und im Rahmen seiner Projektarbeit in San Rafael und der Öffentlichkeitsarbeit hier in Berlin aktiv zu werden?

 

Mit nur nebulösem Wissen von der Existenz der Städtepartnerschaft flog ich im Sommer 2003 als Brigadistin, wie so viele schon vor mir, nach Nicaragua, nicht ahnend, dass ich einige Monate später schon ganz gewohnt mit den "alten Hasen" des Vereins zusammensitze und die Möglichkeit habe, an der Zukunft des Vereins mitzustricken. Wie kam es dazu?

 

San Rafael del Sur
Für mich waren es bleibende Eindrücke von den Menschen in San Rafael, von den verschiedenen Schauplätzen und den Erzählungen der Menschen darüber, wie sich die Region San Rafael zu dem entwickelt hat, wie ich sie vorfand. Die Menschen sprachen offen über positive, aber auch über in ihren Augen gescheiterte Projekte. Ganz besonders beeindruckend fand ich, wie gerade die Menschen, die die Armut des Landes hautnah miterleben, so motiviert und mit größter Hoffnung und Vision eigene Vorschläge machen, was sie in ihrem jeweiligen Umfeld tun möchten und was ihre Träume und Pläne für die Zukunft sind. Woher nehmen sie diese Motivation? Haben sie in ihren Familien in den vielen Jahren positive Entwicklungen miterlebt, die stärker wiegen als die immer wieder negativen Rückschläge, die sie eben auch zu gut kennen? Die Menschen waren es auf der einen Seite, die mich motiviert haben, sich für sie zu engagieren, die mich motiviert haben durch ihre eigene Motivation. Die Art und Weise, wie die Bevölkerung in die Projekte involviert schien, war die andere Seite der Begeisterung.

Zurück in Berlin


Die Erinnerungen aus San Rafael noch in Gedanken, war ich natürlich neugierig, wer zusammen mit CEDRU hinter diesen Projekten steht, von denen immer gesprochen wurde, in die wir auch einen Einblick bekamen. Es wurde also Zeit, den Verein in Kreuzberg mal kennen zu lernen:


"Keine Zukunft", das war die Aufschrift der Flagge, die gehisst war, als die Finanzierung von der EU nicht kam. Es war die Zeit, als ich neu dazu kam, zurück aus Nicaragua und fasziniert von dem, was ich dort erleben durfte. Die Stimmungen im Verein waren recht unterschiedlich, aber eins war aus der Sicht eines Neulings nicht zu leugnen: Es war eine Aufbruchstimmung zu spüren, die motivierend war. Die Aktiven ließen sich auf das Engagement Neuer ein. Ich denke, es war gerade diese Krise, diese Phase der Debatten und Gedanken über alte und neue Wege in der Arbeit des Vereins, die ich so spannend fand. Es war ein Prozess des Hinterfragens losgetreten und Meinungen einzelner Personen motivierten mich als Neueinsteigerin. Diese Krisenphase, in der viel über die Vergangenheit diskutiert wurde und darüber, wie es weiter gehen sollte, erlaubte mir, einen ersten Eindruck davon zu bekommen, wie der Verein "tickt", welche Entwicklungen und Veränderungen in 20 Jahren stattgefunden haben und wie die Zukunft aussehen könnte, die es sicherlich gibt, die aber weiterhin auf neue Aktive angewiesen ist.

 

Für die Zukunft wünsche ich uns weitere solche Motivationsschübe und Debatten, auch wenn auf der Flagge, die gerade weht, nicht " Zukunft?" steht. Debatten dieser Art auch ohne eine solche Brisanz der finanziellen oder strukturellen Lage des Vereins, Debatten im Alltag und ein kritisches Hinterfragen unserer Arbeit, eine gegenseitige Motivation und eine genauso motivierende Verbindlichkeit wie sie aktuell zu spüren ist. Debatten, die wieder den ein oder anderen mitreißen, wie sie mich mitgerissen haben, in Zeiten, in denen nicht alles perfekt läuft und Ehrenamt immer wieder an seine Grenzen stößt.

 

Sandra Hensel