Der Coronavirus ist in Nicaragua angekommen

El Salvador, Honduras und Guatemala waren die ersten Länder in Mittelamerika, die den Flugverkehr einschränkten. In Nicaragua blieb lange alles weiter normal. Es gab keine Reisebeschränkungen. Erst vergangene Woche wurde der erste Coronafall bestätigt. Ein vierzigjähriger Reisender aus Panama ist nun der erste offiziell Infizierte.

 

Nicaragua als kleines Land hat nicht die Möglichkeiten, auf eine dermaßen überraschende Pandemie zu reagieren. Selbst bei vernünftigen politischen und administrativen Entscheidungen wäre das Gesundheitssystem für so einen Fall wohl hoffnungslos überfordert.

Im Gegensatz zum Rest der Welt organisiert die Frente Sandinista Demos gegen das Virus, um den Zusammenhalt der Menschen zu propagieren. Vizepräsidentin Murillo gibt weiterhin nur per Telefonanruf Auskunft an die Fernsehkanäle, der Präsident bleibt still und zeigt keinerlei Führungswille im Angesicht der drohenden Krise. Die Krankenhäuser, in denen die beiden Fälle behandelt werden, gibt Murillo nicht preis. Es wird kritisiert, dass die Fälle eher wie ein Staatsgeheimnis als ein Problem von öffentlichem Interesse behandelt werden. Es gibt keine Aufklärung darüber, welche Maßnahmen der Staat und die Ministerien planen, um gegen die Ausbreitung des Virus vorzugehen und keine administrativen Aufforderungen, persönliche Begegnungen zu vermeiden. Die Schulen, Universitäten und öffentlichen Gebäude bleiben geöffnet. Ein Fernbleiben von wichtigen Veranstaltungen oder Prüfungen wird sanktioniert.

Es gibt auch kein Zurückverfolgen von Menschen, die in Kontakt mit infizierten Personen standen, um das Tempo der Ausbreitung zu bremsen.
Der Epidemiologe Álvaro Ramírez befürchtet, dass Nicaragua in drei Wochen einem überfüllten Krankenhaus gleicht. Während Ortega schweigt und sich vor der Öffentlichkeit verbirgt, wurde das Management der Pandemie von Murillo übernommen, die durch ihre täglichen Monologe in den offiziellen Medien und schriftlichen Pressemitteilungen Anweisungen gegeben hat, die den Hinweisen der WHO zur Eindämmung des Virus zuwiderlaufen, wie z.B. die Förderung großer Menschenmengen bei regierungsfreundlichen Kundgebungen, Freizeitaktivitäten und die Weigerung, eine präventive Quarantäne zu verhängen.

So wurde in Jinotega am Freitag ein Wasserpark eingeweiht und es bildeten sich Schlangen von Besucher*innen. In Boaco fand am Wochenende der Karneval „Liebe zu unserem Land“ statt und überall im Land gibt es religiöse Veranstaltungen zur Fastenzeit. Alle gehen normal zur Arbeit und auf dem Markt in San Rafael del Sur ist alles wie immer. Einige Menschen beginnen mit Hamsterkäufen. Im Supermarkt „Palí“ ist der Kauf von bestimmten Hygieneartikeln limitiert. Es gibt eine Stunde am Tag, an denen nur Menschen ab 65 Jahren einkaufen dürfen. Der besorgten Bevölkerung bleibt keine Möglichkeit, sich zu schützen.

 

Ärzt*innen warfen der Regierung unverantwortliches Verhalten vor. Die Regierung handelt gegen die Empfehlung der WHO und gegen die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO).

"Wir senden unsere starke Umarmung, unseren Glauben und unsere Gebete an den Herrn, damit sie sich erholen können", sagte die Vizepräsidentin. Dieses Verhalten erntete massive Kritik der Nachbarländer wie z.B. des salvadorianischen Präsidenten Bukele.

 

Inzwischen gehen Teams des Gesundheitsministeriums (MINSA) ohne jegliche Schutzausrüstung in die Häuser und fordern die Menschen auf, sich verstärkt die Hände zu waschen und hygienische Verhaltensweisen zu verstärken. Den meisten Menschen bleibt aber nichts anders übrig, als ihr Leben weiter zu führen. Schutzausrüstungen wie Masken, Handschuhe und Hygieneartikel gibt es viel zu wenig. Die soziale Absicherung bei Lohnausfall ist quasi nicht vorhanden und eine deutliche Handlungsanweisung von der Politik ist nicht gegeben. Wie die Zeitung „Confidencial“ berichtet, liegen in Nicaragua auch keine Informationen darüber vor, wie viele Atemschutzgeräte zur Verfügung stehen.

Freund*innen, die ich per Whatsapp in San Rafael kontaktiert habe und zu dem Thema befragt habe, wirken bisher relativ unaufgeregt. Einige gehen mit Maske auf die Straße. Mein Freund Nerhemias schreibt: „Wir haben nichts, was uns schützt, nur Gott ist der Einzige, der auf uns aufpasst.“

 

Am Beispiel Nicaragua lässt sich feststellen, dass die ärmeren Länder dieser Welt kaum Möglichkeiten haben, sich vor einer solchen Pandemie zu schützen. Sollten in Nicaragua oder anderen Ländern des Südens italienische Verhältnisse auftreten, würde es vermutlich noch wesentlich mehr Tote geben. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt. Bei aller fragwürdigen Verhaltensweise der Regierung ist nun auch wieder internationale Solidarität gefragt. Wie helfen wir unserer Partnerregion und den Gesundheitszentren, wenn die ersten Fälle in San Rafael del Sur auftreten? All dies wird nun auch die Vereinsarbeit betreffen.

Unser aktuelles Projekt zur Verbesserung des Gesundheitswesens kann vielleicht ein bisschen unterstützen. Es ist aber für derartige Notfälle nicht ausgelegt. Vorerst können wir nur mit unseren Partner*innen von CEDRU über Präventionsmaßnahmen sprechen.

 

 

Ulf Knecht, Michelle Obando, Habry Aguilar