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Kampagne zur Ächtung sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern

01. 03. 2010

In San Rafael del Sur wurde das Problem sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen und Minderjährigen erstmals 2009 im Rahmen des FOMEDUSA-Projekts zur Förderung der Gesundheit von Frauen und Kindern aufgegriffen. Im Rahmen des FOMEDUSA-Projekts wurde neben den Themenkomplexen der Familienplanung, der Schwangerschaftsberatung und der Vermeidung von HIV/AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten auch das Phänomen verbreiteter sexualisierter Gewalt zur Sprache gebracht, um das bestehende Tabu in der öffentlichen Diskussion zu durchbrechen.

 

Das Projekt

In San Rafael del Sur wurde das Problem sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen und Minderjährigen erstmals 2009 im Rahmen des FOMEDUSA-Projekts zur Förderung der Gesundheit von Frauen und Kindern aufgegriffen. Im Rahmen des FOMEDUSA-Projekts wurde neben den Themenkomplexen der Familienplanung, der Schwangerschaftsberatung und der Vermeidung von HIV/AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten auch das Phänomen verbreiteter sexualisierter Gewalt zur Sprache gebracht, um das bestehende Tabu in der öffentlichen Diskussion zu durchbrechen. Die genauen Maßnahmen sind unter dem Stichpunkt FOMEDUSA nachzulesen.

 

Alle Aktionen beschränkten sich allerdings auf den städtischen Sektor. Die öffentliche Resonanz war erheblich und hat die mit diesem Thema befassten Organisationen zu dem Entschluss ermutigt, ihre Aktivitäten stärker zu koordinieren und auszuweiten. Denn noch wichtiger als im städtischen Bereich ist eine entsprechende Aufklärungsarbeit in den ländlichen Gebieten von San Rafael del Sur und Villa El Carmen. Hier ist der traditionelle Machismus mit seinen negativen Folgen tief verwurzelt. Dies wird insbesondere an der großen Anzahl von Schwangeren unter 18 Jahren deutlich, welche die für die Gesamtheit der Region gültige Quote von minderjährigen Schwangeren (25%) in den ländlichen Gebieten deutlich übertrifft (ca. 40%);  in einzelnen Fällen haben auch 12 – 13jährige bereits eigene Kinder. Der dahinterstehende Missbrauch wird jedoch nicht thematisiert.

 

Die mit dem Thema befassten Organisationen haben sich daher mit einem entsprechend skizzierten Projektvorschlag, die mit dem FOMEDUSA-Projekt begonnene Aufklärungsarbeit schwerpunktmäßig auf die ländlichen Gebiete auszuweiten, an CEDRU und den Verein gewandt, dem wir mit der siebenmonatigen Kampagne zur Ächtung sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern in San Rafael del Sur nachgekommen sind.

Dass auch der nicaraguanische Staat die Bedeutung des Themas für die gesellschaftliche Entwicklung erkannt hat, kommt in der Einrichtung eines Sonderkommissariats für Frauen und Kinder zum Ausdruck, das im August 2009 in San Rafael del Sur eingerichtet wurde und ausschließlich für Fälle sexualisierter Gewalt zuständig ist. Das Kommissariat soll Opfern sexualisierter Gewalt als geschützter Raum für Anzeigen und juristische und psychische Beratung zur Verfügung stehen und ist als selbständige Institution nicht der lokalen Polizeistruktur untergeordnet. Das gesamte Personal ist weiblich, neben einigen wenigen polizeilichen Einsatzkräften ist das Kommissariat auch mit einer Juristin, einer Sozialarbeiterin und einer Psychologin besetzt. Das Konzept der Arbeit ist auf Öffentlichkeitsarbeit, Prävention, Schutz vor Gewalt und Missbrauch, Unterstützung der Opfer sowie Strafverfolgung ausgerichtet.

 

In der Realität scheiterte die Umsetzung der Aufgabe dieses Kommissariats jedoch meist an den fehlenden finanziellen Ressourcen, die neben der personellen Ausstattung erforderlich sind, um diese Ziele auch zu erreichen. Bis zur Umsetzung dieses Projekts war das Kommissariat verwaltungstechnisch für die Gemeinden San Rafael del Sur und das benachbarte Villa El Carmen zuständig, also eine Region von ca. 900 km² mit ca. 71.000 Einwohner_innen, konnte aber nur im städtischen Bereich – und auch hier nur in begrenztem Maße – von San Rafael del Sur tätig werden. Aus solchen Gründen entfiel der konzeptionelle Anspruch, im gesamten Gemeindegebiet Präsenz zu zeigen, Hausbesuche zu machen, eine begleitende psychologische Unterstützung zu bieten oder eine die gesamte Region abdeckende Öffentlichkeitsarbeit zu realisieren. Da es z. B. über kein eigenes Transportmittel verfügte, war es darauf angewiesen, dass Opfer sexualisierter Gewalt die städtische Zentrale aufsuchten, um Anzeige zu erstatten oder Hilfe zu suchen. Das ist aber für Betroffene aus abgelegenen Dörfern kaum zu schaffen. Unter vergleichbaren Einschränkungen litten auch die anderen Organisationen, die sich in beiden Gemeinden mit Delikten sexualisierter Gewalt befassen. Mit den im Rahmen des Projekts geplanten Maßnahmen sollte auch diesem Problem entgegengesteuert werden.

 

Bei der Ausführung des Projekts kam es also einerseits darauf an, die institutionellen Voraussetzungen des Kommissariats zu verbessern. Andererseits bestand unser Ziel darin, das Schweigen zu brechen, die Menschen aufzuklären, Täter und Opfer klar zu benennen und professionelle juristische und psychologische Unterstützung für die Betroffenen zu bieten, um mittels verschiedener Aktivitäten einen Ausweg aus der Gewalt zu bieten.

 

Hierbei beteiligten sich neben CEDRU als für das Projekt verantwortliche Organisation das Bürgermeisteramt, die lokale Polizei, das Menschenrechtsbüro, die Frauenorganisation, sowie das lokale Familien-, Gesundheits- und Bildungsministerium. Neben Aktionstagen zum Thema sowie der Erstellung und Verbreitung eines Flyers und einer Broschüre wurde mit großen Straßenschildern und –transparenten im städtischen und ländlichen Bereich auf das laufende Projekt und seine Inhalte aufmerksam gemacht.  Strafwürdigkeit und psychische Folgen sexualisierter Gewalt wurde durch Informationsstände und -materialien, Theateraufführungen von Jugendgruppen, Videodokumentation und Podiumsdiskussionen thematisiert sowie konkrete Hilfestellung für Prävention oder juristische und psychische Begleitung angeboten. Überwiegend an Frauen und Jugendliche wurden hier und zu anderen Anlässen knapp 1.000 mit Slogans gegen sexualisierte Gewalt bedruckte T-Shirts vergeben.

 

500 Vertreter_innen aus den mitwirkenden Organisationen, aber auch eine große Anzahl an Personen der Zivilgesellschaft beider Landkreise, überwiegend Frauen, wurden in mehreren Workshops zu Promotor_innen ausgebildet. Auf diese Weise konnten das mit Tabus belegte Thema in die Öffentlichkeit getragen und nachhaltige Strukturen zur Prävention sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder, Begleitung von Opfern und Strafverfolgung von Tätern geschaffen werden.

 

Da das für Gewalt gegen Frauen und Kinder in San Rafael del Sur und Villa El Carmen zuständige Kommissariat keinerlei Dienstsitz im Landkreis Villa El Carmen hatte, wurden dort Büroräume errichtet und eingerichtet. Damit besteht nun auch hier eine zentrale Anlaufstelle für alle Einwohner_innen des Landkreises, die sich sonst an die Dienststelle im benachbarten Kreis hätten richten müssen. Das Personal des Kommissariats kooperiert in diesen Räumen mit den Promotor_innen, die, wie oben beschrieben, im Rahmen des Projekts ausgebildet wurden. Beide Kommissariate erhielten im Rahmen der Kampagne Computer zur Bearbeitung der Anzeigen und Motorräder, mit denen sie rasch auch in schwer erreichbare Dörfer gelangen können.

 

Das Projekt ist aus Sicht des Vereins ein voller Erfolg und hatte eine große öffentliche Resonanz in den betroffenen Landkreisen. Dazu haben auch die Anerkennung der nationalen Leitung des Kommissariats für Frauen und Kinder und zwei überregionale Zeitungsberichte beigetragen. Es bestehen nunmehr feste Strukturen in beiden Landkreisen, ergänzt durch ein dichtes Netz von Multiplikator_innen und Promotor_innen, die für eine Nachhaltigkeit des Projekts stehen.

 

Nachtrag:

Die aktuelle Situation in Nicaragua und San Rafael del Sur

Um ein besseres Verständnis für die Notwendigkeit des beschriebenen Projekts zu gewährleisten, soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die in Nicaragua vorherrschende Problematik von sexualisierter Gewalt gegen Frauen gegeben werden. In einer repräsentativen Umfrage von Erwachsenen im Department León des Jahres 2007 gaben 27% der befragten Frauen und 20% der Männer an, in ihrer Kindheit und Jugend Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein. Im ersten Quartal des Jahres 2008 registrierte das neu geschaffene Kommissariat für Frauen und Kinder auf nationaler Ebene 1.097 Anzeigen wegen sexueller Delikte, von denen zu 57% Mädchen, Jungen und Jugendliche beiderlei Geschlechts betroffen waren. 68 % der Fälle sexuellen Missbrauchs ereigneten sich danach im familiären Umfeld, die Täter sind in ihrer Mehrheit Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Auf nationaler Ebene hat sich bisher wenig geändert: Gewalt gegen Frauen stelle noch immer ein gravierendes Menschenrechtsproblem dar, so Esteban Beltrán, Direktor der spanischen Sektion von Amnesty International. Laut Aussagen der „Nationalen Beobachtung der Gewalt zwischen Paaren, Vergewaltigung und Frauenmord“ gab es bis Oktober 2012 bereits 1.783 Anzeigen wegen Vergewaltigung von Frauen und Mädchen, genau 230 mehr als im vergangenen Jahr. 55 Frauen wurden von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht, das sind 9 weniger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2011.

 

Im Juni des Jahres 2012 wurde ein Gesetz erlassen, das Gewalt gegen Frauen härter bestraft (Ley 779, Ley Integral contra la Violencia hacia las mujeres). Dieses Gesetz erklärt alle Formen von Gewalt gegen Frauen als kriminelle Handlungen und stellt sie unter Strafe. Zusätzlich sieht das Gesetz Sanktionen für Beamte vor, die verzögern oder gar verhindern, dass weibliche Opfer von Gewalt zu ihrem Recht kommen. Die Wirkung des Gesetzes muss abgewartet werden. Bislang reagiere der Staat generell viel zu zögerlich auf die steigenden Zahlen der Gewalt gegen Frauen und junge Mädchen, so Gonzalo Carrión, juristischer Leiter des nicaraguanischen Menschenrechtszentrums Centro nicaragüense de derechos humanos (Cenidh). Sich auf die Einführung neuer Gesetze zu beschränken, reicht möglicherweise nicht aus. Vielmehr sind eine Unterstützung durch das Rechtssystem und öffentliche Institutionen, sowie permanente auf die Wahrung der Menschenrechte ausgerichtete Kampagnen nötig, um gegen das "kulturelle Erbe", das sich in der Gewalt gegen Frauen manifestiert, anzukämpfen. Zusätzlich müssen in vielen Fällen die mangelnde Sensibilität der Behörden, und die nicht ausreichende Qualität und Quantität menschlicher, materieller und institutioneller Ressourcen überwunden werden. Darüber hinaus sollte verhindert werden, dass Täter aus Gründen politischer Opportunität nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

 

In der Region San Rafael del Sur bestehen verlässliche Statistiken über Gewaltdelikte gegenüber Frauen und den Missbrauch von Minderjährigen erst seit 2005. Diese Statistiken sind isoliert in verschiedenen Organisationen wie Polizei, Gesundheitszentren, Menschenrechtsbüro und Frauenorganisationen erstellt und 2009 erstmals zentral erfasst worden. Danach ergingen im Durchschnitt 450 Anzeigen pro Jahr wegen Gewalt gegen Frauen und 90 Anzeigen pro Jahr wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Mit 1006 Anzeigen wegen Gewaltdelikten gegen Frauen erreichte die Statistik im Jahr 2009 ihren Höhepunkt, seitdem sind sie jedoch wieder erheblich zurückgegangen: Im Jahr 2011 wurden lediglich 576 Anzeigen verzeichnet.

 

Statistik-Gewalt-gegen-Frauen

 

Diese Statistik sagt allerdings nichts darüber aus, ob und wie häufig es zu Verurteilungen der Täter gekommen ist. Wie schwierig es ist, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, zeigt sich deutlich am Fall eines zwölfjährigen geistig behinderten Mädchens, das im August dieses Jahres in Managua von vier Polizisten  entführt, vergewaltigt und die ganze Nacht über festgehalten wurde. Auf dem Kommissariat hatte man den Eltern zunächst – unter Drohungen – erklärt, dass der Fall nicht weiterverfolgt werde. Erst als sich Cenidh einschaltete und den Fall publik machte, wurden die Ermittlungen aufgenommen.

 

Bislang könnten sich Frauen nicht geschützt fühlen, so das Red de mujeres contra la violencia (Netzwerk von Frauen gegen Gewalt). Denn das nationale Rechtssystem, von dem Frauen bislang ausgeschlossen sind, schaffe nicht die notwendigen Voraussetzungen für eine Verbesserung der Situation und das neue Gesetz sei zwar „von den Frauenbewegungen gefordert und mit einem Vorschlag des Obersten Gerichts kombiniert worden“, erstellt worden sei es jedoch „von einer Regierung und Justiz, die Straflosigkeit praktiziere und im Widerspruch zu dem Geist und den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit steht“ (Interview mit Sara Henríquez, Mitglied von „Frauen gegen Gewalt“). Und auch internationale Hilfsorganisationen ergriffen bislang nicht ausreichend Initiative gegen diese Art von Menschenrechtsverletzungen. So sei eine angemessene Bestrafung der Täter nicht gewährleistet, die Mehrheit bleibe auf freiem Fuß. 62% der zwischen 2006 und 2012 angezeigten Übergriffe wurden lediglich als „Verfehlungen“, nicht aber als Delikte klassifiziert.

 

Frauenorganisationen äußerten außerdem die Kritik, dass das neue Gesetz ein „totes Gesetz“ sei, weil es nicht ausreichend angewendet werde und Frauen bislang davon ausschließt, über die Erfüllung des Gesetzes mitzuentscheiden. So würden die Frauenorganisationen nur einberufen, „wenn es für angebracht gehalten wird“, und sie dürften lediglich eine beratende Funktion ausüben, hätten aber kein aktives Stimmrecht, so das Red de mujeres contra la violencia.

 

Zudem muss bei den Delikten von einer sehr großen Dunkelziffer ausgegangen werden, da das Thema sexualisierter Gewalt in Nicaragua in hohem Maße tabuisiert ist. Die Gesellschaft ist, typisch für lateinamerikanische Länder, noch stark von Patriarchat und Machismus geprägt. In der Regel sind den Täter_innen (zu 90% Männer) sowohl die rechtlichen, als auch die psychischen Konsequenzen ihres Handelns kaum bewusst, das in der Regel als familiäres Problem abgetan wird. Eine allgemeine Unwissenheit über die psychischen Folgen sexueller Gewalt, eine durchgehend zu konstatierende Unterfinanzierung der örtlichen Polizei- und Justizsysteme und nicht zuletzt die verbreitete Korruption tragen ebenfalls wesentlich zur Straflosigkeit sexueller Delikte bei. Darüber hinaus wird nur ein Bruchteil der Gewaltdelikte von den Opfern zur Anzeige gebracht, dies gilt insbesondere für den Missbrauch minderjähriger, meist weiblicher Familienangehöriger. In grotesker Umkehrung der Verantwortung wird die Schuld häufig den Opfern zugewiesen, die nicht selten an dergestalt verinnerlichten Traumata zerbrechen. Ohne eine kostenlose, professionelle rechtliche und psychologische Hilfe sind die meisten Opfer nicht in der Lage, das Geschehene zu verarbeiten und leiden lebenslang unter Folgen wie mangelhaftem Selbstwertgefühl und Versagen. Als individueller Ausweg bleibt zumeist nur der Versuch, zu vergessen. Doch sind insbesondere Opfer sexueller Gewalt im Kindes- und Jugendalter in viel höherem Maße gefährdet, wiederholt Gewalt zu erleiden oder zu erdulden. Das erlittene Trauma wird an die nächste Generation weitergegeben.

 

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Projektname
Kampagne zur Ächtung sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern

 

Laufzeit
März 2010 - August 2010

 

Projektkosten
27.651 €

 

Finanzierung
Fördermittel: 20.000 € (LEZ)
Spendenbedarf: 7.651 €

 

Bild zur Meldung: Kampagne zur Ächtung sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern

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