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Statt Almosen Hilfe zur Selbsthilfe

Seit 1986 hat der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg - San Rafael del Sur auf Antrag der Bevölkerung unserer Partnerstadt San Rafael del Sur in Nicaragua viele Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Trinkwasser durchgeführt. 1986 hatten fast 80 % der Bevölkerung der Partnerstadt, die überwiegend auf dem Lande in 58 Dörfern wohnen, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Frauen und Kinder mussten teilweise aus zehn Kilometern Entfernung belastetes Oberflächenwasser täglich in Eimern heranschleppen. Mittlerweile haben 75 % der Einwohner(innen) Zugriff auf sauberes Brunnenwasser. Gemeinsam mit den Betroffenen, die kostenlos ihre Arbeitsleistung einbringen, wurden traditionelle Brunnen oder dorfzentrale Wasserversorgungssysteme mit Anschluss an jedem Haus gebaut. Auch in den Bereichen Bildung und Gesundheit haben wir nachhaltig die Bedingungen verbessern können. Ob es der Bau von mittlerweile über 15 Schulen oder der Neubau eines Kleinkrankenhauses mit regenerativer Energieversorgung ist, immer wurden die Projekte gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt, flossen 100 % der Spendengelder direkt in die Projekte vor Ort.

 

Aber trotz aller lebensnotwendiger Verbesserungen haben immer wieder Naturkatastrophen, Missernten oder Preisverfall bei landwirtschaftlichen Produkten die Kleinbauern in existenzielle Schwierigkeiten gebracht. Und so manches Mal wurden wir darauf hingewiesen: "Die neue Schule ist toll, endlich können meine Kinder zur Schule. Aber wenn wir nichts zu essen haben, dann hilft uns auch die Schule nicht weiter. Könnt ihr uns nicht bei der Verbesserung der Landwirtschaft helfen? - Wir wollen uns aus eigener Kraft ernähren und nicht bei jeder Naturkatastrophe oder Missernte von Lebensmittelspenden abhängig sein."

 

So haben wir schon 1998 begonnen, nach Missernten den Anbau von Gemüse zu fördern und Aufforstungsmaßnahmen gegen weitere Bodenerosion und Grundwasserabsenkung zu unterstützen. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir dann 1999 auf vielen Dorfversammlungen und mit Mitarbeiter(inne)n unseres lokalen Partners CEDRU (Centro de Desarrollo Rural) ein Projekt zur Integrierten Armutsbekämpfung entwickelt, das an den Schlüsselproblemen der Kleinbauern ansetzt und hier eine nachhaltige Verbesserung erreichen will. Im Mittelpunkt stehen dabei die Erhöhung der Einkommen (im Durchschnitt haben Kleinbauernfamilien knapp 30 Dollar pro Monat) und die Reduzierung der Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Gleichzeitig sollen aber auch die Grundrechte verbessert werden. Das heißt für uns Recht auf Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, intakte Umwelt, körperliche Unversehrtheit und der Schutz vor staatlicher oder privater Willkür. Einen entsprechenden Projektantrag zur Realisierung dieser Aktivitäten stellten wir im Jahre 2000 bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Im Januar 2001 konnten wir gemeinsam mit den Betroffenen mit der Umsetzung dieses Programms zur "Integrierten Armutsbekämpfung" (PRODISA) beginnen.

 

Bis Anfang Oktober 2002 haben sich 2.729 Familien um eine Beteiligung an diesem Programm beworben, von denen bisher knapp 800 noch nicht in eine der Maßnahmen aufgenommen werden konnten. Damit sind in 35 Dörfern fast 17.000 Einwohner(innen) erreicht worden. Fast 50 % der Beteiligten sind Frauen, ein Drittel aller Beteiligten besitzen weniger als einen Hektar Land. Gerade diese Kleinbauern, die weniger als 10 Hektar Land besitzen und 85 % aller am Projekt Beteiligten stellen, können ihre Situation nur verbessern, wenn sie sich an mehrer Maßnahmen beteiligen.

 

Wie sieht das konkret aus? Nehmen wir zum Beispiel eine Familie in El Uval, fast 20 km von jeder befestigten Straße entfernt. Die Frau, María de Jesús Mora Córdoba, erzieht ihre vier Kinder allein, der Mann ist verschwunden. Sie hat knapp zwei manzana (1,5 Hektar) Landbesitz, auf dem sie bisher Bohnen anbaute. Der Oberboden ist von Erosion bedroht. Nur in guten Jahren, mit regelmäßigen Niederschlägen, sind zwei Ernten denkbar. Häufig fällt die erste Ernte aus, bringt die zweite Ernte am Jahresende gerade mal noch 60-70 % des früher üblichen Ertrages. Nach Missernten muss Saatgut auf Kredit von einem Zwischenhändler bezogen werden, der dann direkt nach der nächsten Ernte die Bohnen zum Niedrigpreis aufkauft. Die Schule der Kinder ist baufällig, Unterrichtsmaterialien fehlen. Eine gesundheitliche Betreuung vor Ort fehlt völlig. Zumindest ist seit 1993 Trinkwasser vorhanden, da in diesem Jahr der Städtepartnerschaftsverein eine Wasserfernleitung bis El Uval verlegte. Wie hat sich seit 2001 die Situation verändert, nachdem sich die Frau um die Aufnahme in das Programm bewarb und ihre Bereitschaft erklärte, an Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen?

 

Schon im Frühjahr 2001 nahm sie an zwei Workshops teil. Im ersten wurde sie in Fragen der Hofhühnerhaltung geschult und erhielt zehn Hühner und einen Hahn. Nach einem Workshop zum Gemüseanbau erhielt sie Samen dreier verschiedener Gemüsearten, um auf einem Drittel Hektar ein Gemüsefeld anzulegen, das sie mit Brauchwasser auch in der Trockenzeit bewässern kann. So konnte sie schon im Jahre 2001 trotz Dürre im ersten Halbjahr durch Eier- und Gemüseverkauf ihre Familie über die Runden bringen. Allein durch diese beiden Maßnahmen stieg ihr Einkommen um über 30 Dollar pro Monat und verdoppelte sich damit. Mittlerweile hat sie auch schon die ersten Hühner, wie verabredet, zurückgegeben, und diese wurden dann der nächsten Familie übergeben. Bei Fragen und Problemen wurde sie sowohl von ihrer Promotorin Zoraida, die im Rahmen des Projektes ausgebildet wurde, als auch von der Zootechnikerin Esmeralda und dem Agrartechniker Pedro, beide von CEDRU, unterstützt.

 

Im Sommer 2001 und dann auch 2002 nahm sie an den großen Bauernmärkten in San Rafael del Sur teil. Hier konnte sie, zusammen mit anderen, erstmals ihre Produkte direkt ohne Zwischenhändler verkaufen. Obwohl sie 50 % mehr für das Gemüse nahm, als sie vom Zwischenhändler erhalten hätte, war in kürzester Zeit alles verkauft - anscheinend bot sie ihre Ware immer noch zu billig an, wie ihr später auch der Agrartechniker Pedro auf einem Seminar erzählte. Diesen Fehler wiederholte sie dann 2002 nicht, da sie mittlerweile auch schon mehrfach direkt über den Laden von CEDRU ihr Gemüse und die Eier vermarktet hatte und die städtischen Preise kannte.

 

Von Anfang an wollte sie aber auch den Bohnenanbau auf ihren Feldern verbessern. So beteiligte sie sich ab Sommer 2001 an entsprechenden Schulungen auf der Demonstrationsfarm von CEDRU. Ein Lkw holte sie und andere ab und brachte sie dann später auch in ihr Dorf zurück. Nur so konnte sie an solchen zentralen Ausbildungskursen teilnehmen. Hier lernte sie die Herstellung organischen Düngers über den Einsatz von Regenwürmern, lernte einiges über organische Schädlingsbekämpfung und über bessere Anbautechniken. Insbesondere überzeugte sie auch die Anlage von Mischkulturen, hier die Koppelung von Bohnen- und Bananenanbau. Sie sah auch, wie man kleine Baumschulen anlegen kann und wie lebende Zäune als Windschutzstreifen Bodenerosion reduzieren und die Bodenfeuchtigkeit verbessern. Nach drei Workshops erhielt sie verbessertes Saatgut für Bohnen, einen Zentner für einen Hektar sowie 50 Bananenstauden. Gleichzeitig verpflichtete sie sich, eine kleine Baumschule mit 600 Setzlingen auf Gemeindeland anzulegen. Dafür sammelte sie Samen von einheimischen Bäumen, pflanzte diese in kleine Plastikbeutel und legte eine kleine Baumschule an. Etwas Werkzeug und eine Gießkanne erhielt sie ebenfalls von CEDRU.

 

Anfang September bereitete sie ihr Feld für die Aussaat vor, legte die Mischkultur mit Bohnen und Bananenstauden an und verwandte erstmals eine neue, hangparallele, flache Furchentechnik. Auch hier wurde sie ständig von der Promotorin bzw. dem Agrartechniker beraten und konnte sich mit anderen auf dezentralen Dorfversammlungen austauschen. Zum Glück spielte das Wetter ebenfalls mit und Ende 2001 kam die Bohnenernte. Viermal so viel Bohnen wie früher konnte sie ernten. So fiel es María auch nicht schwer, 1,5 Zentner Bohnen an den revolvierenden Fonds zurückzuzahlen, so dass im Herbst 2002 weitere Familien in das Pogramm aufgenommen werden können und Saatgut erhalten. Um nicht direkt nach der Ente zu Niedrigpreisen verkaufen zu müssen, lagerte sie sechs Zentner in von CEDRU erstellten Silos ein. Sie erhielt hier eine erste Abschlagzahlung in Cordobas. Nachdem die Bohnen im Sommer 2002 zu einem 50 % höheren Preis verkauft wurden, war sie hocherfreut über die zweite Auszahlung. Gegenüber früher haben sich ihre Erträge aus dem Bohnenanbau fast versechsfacht und knapp 400 Dollar erreicht (bei Einsatz von 10.000 US-Dollar für verbessertes Saatgut im Bereich Grundnahrungsmittel durch den Verein wurden insgesamt 140.000 Dollar nach nur einer Ernte erlöst).

 

Mittlerweile wurde in El Uval die Schule repariert und die Schulausstattung verbessert. Seit Sommer 2002 nimmt María, zusammen mit 140 anderen Erwachsenen abends an einem Alphabetisierungskurs teil. Erstmals lernte sie auch ihre Rechte auf einem Seminar im Mai 2002 zu Menschenrechtsfragen besser kennen, das der Verein und CEDRU gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation CENIDH veranstaltete. Jetzt weiß sie auch, wo sie sich bei Landkonflikten oder Unterhaltsstreitigkeiten hinwenden kann und kennt ihre Mitwirkungsrechte in der Schule.

 

Im Herbst 2002 kamen endlich auch wieder einmal Gesundheitsbrigaden und Ärzteteams nach El Uval. Sie führten nicht nur Sprechstunden und Impfaktionen durch sondern bekämpften auch Parasiten. María hatte schon vorher von den CEDRU-Promotorinnen von der Aktion gehört. Sie wusste deshalb auch, dass diese Maßnahmen mit der Beseitigung von illegalen Müllplätzen, Tümpeln und anderen Brutstätten für Parasiten verbunden sind. Mit vielen anderen aus dem Dorf beteiligte sie sich an dieser Aktion. Sie erfuhr auch, dass in ihrem Dorf endlich auch ein Basisgesundheitshaus entsteht, wo kleinere Verletzungen behandelt werden können, wo ein Sanitäter sitzt und ein Notfallkoffer vorhanden ist. All dies realisieren der Verein und CEDRU gemeinsam mit dem Gesundheitszentrum in San Rafael del Sur im Rahmen des Gesamtprogramms.

 

Auf Besuchen in anderen Dörfern lernte sie weitere Aktivitäten dieses Programms kennen. So wurden in kleinen Gemeinden, z.B. in La Gallina traditionelle Schachtbrunnen gebaut, damit die Menschen auch dort endlich sauberes Grundwasser anstelle von belastetem Oberflächenwasser nutzen können. Sie sah dort erstmals auch eine "bomba de mecate", eine traditionelle Schnurpumpe, und ließ sich ein Gemüsefeld zeigen, das mit kleinen Plastikschläuchen zur Tröpfchenbewässerung durchzogen war. Gerne hätte sie zu ihren Hühnern auch eine kleine Schafherde gehabt, wie die Familie von Julia Haydee Flores, die sechs Tiere im Rahmen eines revolvierenden Fonds erhalten hatte. Aber Julia hatte mit acht manzanas Land auch genügend Fläche, um Futtermittel anzubauen. Und nur dann war die Aufzucht von Schafen rentabel. Nach dem Gespräch mit Julia überlegte María, ob sie nicht vielleicht im nächsten Jahr Land dazu pachten kann, um dann auch Hirse und Mais anzubauen, die wesentlich weniger empfindlich gegen Klimaschwankungen sind. Aber auch nichttraditionelle Produkte würden María interessieren, um ihre Abhängigkeit von der Preisentwicklung weniger Produkte zu reduzieren und auch bei klimatisch schlechten Jahren genügend Einkommen zu haben, um ihre Familie zu ernähren.

 

Wir hoffen, mit dieser Darstellung zu verdeutlichen, wie die einzelnen Komponenten miteinander vernetzt sind. Aber noch mehr geschieht im Rahmen des Programms zur integrierten Armutsbekämpfung: Mittlerweile existieren an mehreren Schulen sogenannte Ökobrigaden, die sich im Bereich Aufforstung und Umwelt engagieren. Die erste Hygienebrigade von Jugendlichen hat ihre Ausbildung in den Gesundheitszentren erhalten. Allein im Jahre 2002 konnten drei Gemeinden endlich eine vernünftige Grundschule erhalten. Mehr als 50 Lehrerinnen und Lehrer wurden fortgebildet. Die Ausstattung der Grundschulen und der drei weiterführenden Schulen mit Unterrichtsmaterialien wurde verbessert. Manche Schulen haben nicht einmal eine Wandkarte, kein Lexikon, keinerlei Schaubilder, nur eine Tafel und nicht immer Kreide. Insgesamt fünf traditionelle Brunnen konnten eingeweiht werden.

 

Mittlerweile wurde nicht nur in den Bereichen Menschenrechte, wo weitere Stiftungen als Unterstützer gewonnen werden konnten, und Schulwesen die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen intensiviert. Fachleute von der Universität und von anderen Nichtregierungsorganisationen führen Ausbildungsseminare durch. Fast 80 Familien aus dem Bereich Schafszucht haben mittlerweile sogar eine Prüfung mit Diplom abgelegt. Aber auch das regionale Umweltkomitee intensivierte seine Arbeit und versucht, weitere Gebiete vor Abholzung zu schützen.

 

Insgesamt war das Programm bisher so erfolgreich, dass wir den Ausbruch von Seuchen wie Cholera ebenso wie Hungersnöte verhindern konnten. Hauptproblem bleibt, die erforderlichen Eigenmittel zu beschaffen, damit alle interessierten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sich möglichst bald an einer oder sogar mehreren Komponenten zur nachhaltigen Verbesserung ihrer Situation beteiligen können. Noch warten knapp 800 Familien darauf, so wie María de Jesús Mora Córdoba in das PRODISA-Programm aufgenomen zu werden. Wenn wir das mit Ihrer finanziellen Hilfe ermöglichen könnten, hätten wir fast ein Drittel der gesamten Landbevölkerung unserer Partnergemeinde in die " Integrierte Armutsbekämpfung" aufnehmen können. Angesichts eine offiziellen Warenkorb zur Sicherung der Grundbedürfnisse einer Familie in Höhe von 240 US-$ pro Monat, könnten auch sie dann endlich beginnen, ein nicht mehr ganz so unsicheres Leben zu führen, und ihr Einkommen über die bisher möglichen ein oder zwei Dollar pro Tag und Person hinaus zu erhöhen. Helfen Sie uns dabei.

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