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Kopf an Kopf

Wahlkampf in Nicaraga

  Mai Juli September
Daniel Ortega FSLN
Frente Sandinista de Liber-ación Nacional
 
37,6 % 39,4 % 40,1 %
Enrique Bolaños PLC
Partido Liberal Constitucio-nalista
 
29,8 % 34,4 % 39,4 %
Noel Vidaurre / Alberto Saborío PC
Partido Conservador
 
17,7 % 11,4 % 2,8 %
Unentschlossene
Wähler(innen)
14,2 % 14,7 % 17,6 %
Quelle: La Prensa, 10.09.01


 

Die jüngste, von der Firma "M&R" zwischen dem 29. August und dem 3. September 2001 durchgeführte Meinungsumfrage lässt Zweierlei deutlich werden:

Erstens scheint es in der Kandidatur um die Präsidentschaft bei den Wahlen am 4. November ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Daniel Ortega und Enrique Bolaños zu geben. Während der Frente-Chef in der Zeit von Mai bis September nur 2,5 % in der Wählergunst zulegen konnte (siehe Grafik), gewann der jetzige Vizepräsident von der regierenden früheren Somoza-Partei fast 10 % hinzu. Diesen Zuwachs hat er der Konservativen Partei zu verdanken, die im August, sozusagen in letzter Minute, ihren greisen Spitzenkandidaten Noel Vidaurre gegen den jüngeren Alberto Saborío austauschte. Grund: Der ursprünglich vorgesehene Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, José Antonio Alvarado, hatte anscheinend nicht rechtzeitig seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft abgelegt, was Voraussetzung für seine Wählbarkeit gewesen wäre. Mit Alberto Saborío stürzte die Partei in die Bedeutungslosigkeit ab, falls sie sich in den wenigen bis zur Wahl verbleibenden Wochen nicht doch noch wieder etwas fangen kann.

 

Zweitens wird klar, dass es entscheidend sein wird, wer von den beiden führenden Kandidaten eine deutliche Mehrheit der noch unentschlossenen Wähler(innen), immerhin ein Sechstel aller Wahlberechtigten, für sich gewinnen kann. Denn ein Vorsprung von 5% vor dem Zweitplatzierten ist notwendig, um einen zweiten Wahlgang zu vermeiden.

 

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint sich also das im so genannten Pakt zwischen FSLN und PLC angestrebte Zwei-Parteien-System fest etabliert zu haben. Der neben der PC außerdem zugelassene "Camino Cristiano" (Christlicher Weg, CC) hat sich der PLC untergeordnet, die beiden Indígena-Vertretungen sind nur in den Autonomiegebieten des Ostens wählbar. Beide großen Parteien versammeln nun kleinere, für die Wahlen nicht zugelassene Organisationen und prominente Persönlichkeiten unterschiedlichster Herkunft unter ihrem Dach.

 

Nationale Konvergenz

Der FSLN sind inzwischen erstaunliche Erfolge bei der Suche nach Unterstützung gelungen: Dass die "Unión Social Cristiano" (Christliche Soziale Union, USC) im Frente-Boot sitzt, manifestiert sich in der Kandidatur des früheren obersten Rechnungsprüfers Nicaraguas, Agustín Joaquín von der USC, als Ortegas Vize. Und dies, obwohl er in den achtziger Jahren wegen seiner oppositionellen Haltung von der FSLN-Regierung nicht weniger als vier Mal verhaftet und eingesperrt worden war.

 

Am 1. September kam es zur öffentlichen Umarmung zwischen den Comandantes Daniel Ortega und Dora María Téllez, die 1995 mit anderen FSLN-Dissidenten das "Movimiento de Renovación Sandinista" (Bewegung der Sandinistischen Erneuerung, MRS) gründete und nun diese klein gebliebene Organisation zur FSLN zurückführte.

 

Auch Miriam Argüello und ihr "Tercera Vía" (Dritter Weg) unterstützen die Frente Sandinista bei den Wahlen. Tercera Vía vereinigt in sich das Movimiento Nosotros Podemos (Bewegung Wir können), Movimiento Renovador Sandinista (Bewegung Sandinistische Erneuerung), Movimiento Unidad Revolucionaria (Bewegung Revolutionäre Einheit) und die Alianza Popular Conservadora (Konservative Volksallianz). Auch die "Unión Nacional de Agricultores y Ganaderos" (Nationale Union der Landwirte und Viehzüchter, UNAG) und selbst etliche ehemalige Contra-Führer wie Steadman Fagoth sind der von der FSLN angeführten, so genannten "Convergencia Nacional" (Nationale Übereinstimmung) beigetreten, einem Bündnis, das tatsächlich beginnt, die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und Interessenslagen abzudecken. Aber auch die PLC erhält Unterstützung in einer erstaunlichen Bandbreite: Von Edén Pastora und Moisés Hassan auf der "linken" Seite bis zur Partei ehemaliger Contras, "Partido Resistencia Nicaragüense" (PRN) ganz weit rechts.

 

"La tierra prometida" - "Sí se puede"

Während die PLC in leicht abgewandelter Form auf den alten Wahlspruch der Violeta Barrios de Chamorro von 1990 "Sí se puede" (Klar kann man; damals: "U.N.O. sí puede") zurückgreift, stellt die "Convergencia Nacional" unter der Führung der FSLN "La Tierra Prometida" in Aussicht: Das versprochene Land (könnte man auch mit "Das gelobte Land" übersetzen, wäre aber doch ein wenig hoch gegriffen). Der Slogan greift das unerfüllte Versprechen der Regierungen Chamorro und Alemán nach Vergabe von Landbesitz für ehemalige Soldaten und repatriierte Contras auf.

 

"La Tierra Prometida" ist das Wahlprogramm der FSLN bzw. der "Convergencia Nacional". Ihm liegt ein detaillierter Wirtschaftsplan zu Grunde, mit dem Mittel freigesetzt werden sollen, die Nicaragua bisher verloren gehen:

  • Bekämpfung der Korruption;
  • Reduzierung von Steuerbefreiungen (die 1999 immerhin fast 3 Milliarden Córdobas ausmachten - rund 13,61 Córdobas = 1 US-Dollar);
  • Reduzierung der Steuerflucht (2 Millionen Córdobas jährlich);
  • Reduzierung der Schuldenlast durch Aufnahme in das HIPC-Verfahren, was in diesem Jahr 94 Millionen US-$ ausmacht und in den kommenden beiden Jahren mehr als 300 Millionen US-$ freisetzen wird;
  • Kontrolle der Mittel der Kooperation mit dem Ausland, 500 - 600 Millionen US-$ pro Jahr.

 

Die Mittel sollen vordringlich für die Armutsbekämpfung eingesetzt werden: Zugang zu tragbaren Krediten für Kleinbauern und Förderung des kleinen und mittleren Unternehmertums zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Das Privateigentum bleibt nicht nur garantiert, in den achtziger Jahren vorgenommene Enteignungen sollen darüber hinaus erneut auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht werden - inklusive derer, die die Familie Somoza betreffen.

 

Insgesamt wirkt dieser Wirtschaftsplan, auch wenn er sich vielleicht nicht so schnell und nicht so vollständig verwirklichen lassen wird, wie erhofft, seriös. Seriöser jedenfalls als das Versprechen des PLC-Konkurrenten Bolaños, der nach einem Wahlsieg seiner Partei den Nicas Material für 100.000 einfache Häuser übergeben will, ohne zu sagen, woher er die rund 35 Millionen US-$ dafür nehmen will.

 

Bildung für alle

Der Generalsekretär und Präsidentschaftskandidat der FSLN, Daniel Ortega, versprach in einem Treffen mit Hochschuldirektoren, dass eine Regierung der "Convergencia Nacional" 6 % des Staatshaushaltes für Bildung ausgeben werde. Das Recht auf private Universitäten bleibe erhalten. In Nicaragua gibt es derzeit 33 Universitäten, wovon nur vier staatlich betrieben werden. Er sicherte zu, dass die Militärdienstpflicht abgeschafft bleiben wird, so wie die Verfassung es in Artikel 96 vorschreibt. Er kündigte außerdem die Schaffung eines Fonds an, aus dem 250.000 Stipendien an Bedürftige vergeben werden sollen.

 

"La chicha que nos gusta tanto"

Anfang Juni unterzeichneten die verantwortlichen Vertreter der Parteien einen Ethik-Kodex, in dem sie sich zu einem fairen Wahlkampf verpflichten. Aber mit der Fairness ist das so eine Sache, zumal, wenn es um Macht und - damit verbunden - um viel Geld geht.

 

Die regierende PLC nutzt allerdings schamlos alle staatlichen Mittel, um sich Vorteile zu verschaffen: Die Kommunen in der Provinz beklagen, dass von der Regierung auszuzahlende Gelder bei ihnen nicht ankommen - vermutlich, weil das Geld in teure Fernsehwerbespots gesteckt werde. Viele Kommunalangestellte haben seit Monaten kein Gehalt mehr gesehen. Mit größter Selbstverständlichkeit werden staatliche Gebäude und Fahrzeuge für Wahlkampfeinsätze der PLC benutzt.

 

Zu den Wahlen in Nicaragua wird eigens eine "Wahl-Polizei-Truppe" aufgestellt, die den ordnungsgemäßen Verlauf kontrollieren und sicherstellen soll. Anlässlich der Kommunalwahlen im vergangenen Jahr wurde diese Truppe von der nationalen Polizei berufen. Jetzt stellt der "Ministro de Gobernación", José Marenco, die Wahl-Polizei zusammen - vornehmlich aus PLC-Mitgliedern und -Anhängern. Die Berechtigung dazu muss nun vom Verfassungsgericht und dem Obersten Wahlrat geprüft werden.

 

Zur eigenen Kontrolle der Wahlen am 4. November bilden alle Parteien Wahlhelfer(innen) aus, die die Stimmabgabe überwachen, die Urnen nicht aus den Augen lassen und die Dateneingabe in die Computer überwachen sollen. Sie sollen auch die offiziellen Parteienvertreter(innen) in den 9.525 Wahllokalen mit Essen und Getränken versorgen und gegebenenfalls Gebrechliche zu den Urnen und zurück nach Hause transportieren. Die PLC will dafür 90.000 Menschen schulen, die PC 40.000 und die FSLN 50.000. Die Zahl internationaler Wahlbeobachter ist noch unbekannt.

 

Dass Staatsbedienstete mit "freiwilligen" Lohnabzügen die Kampagne der PLC mitzufinanzieren haben, ist angesichts der Korruption in und unter dieser Regierung fast schon selbstverständlich. Auch der staatliche Fernsehsender "Canal 6" wird von PLC-Mitgliedern zu Anti-FSLN-Tiraden und PLC-Propaganda benutzt, wobei sich vor allem die Programmgestalter Enrique Quiñónez und Fernando Avellán sowie der Sprecher Luis Mora hervortun, allesamt Kandidaten als Parlamentsabgeordnete der PLC.

 

Extrem undemokratisch verhielten sich PLC-Anhänger am Tag nach den verabscheuungswürdigen Terroranschlägen von New York und Washington: Sie postierten sich in Managua an der "Rotonda de Santo Domingo" mit Transparenten, auf denen stand: "Nicaragua will keinen Terroristenfreund als Präsident", was sich eindeutig auf Daniel Ortega beziehen sollte. Die FSLN klagte vor dem Obersten Wahlrat Mitglieder und Führer der PLC, des CC und der PRN sowie "Radio Corporación" an, "die Katastrophe auszunutzen, um Führer und Kandidaten der FSLN zu beschimpfen und zu verleumden. Der Oberste Wahlrat muss sich nun mit diesen Anschuldigungen befassen.

 

In ihrer Kampagne bemüht sich die FSLN, frühere Gegner einzubinden oder in ihrer Furcht vor einer neuen Frente-Regierung zu beruhigen. Der globale politische Kontext habe sich seit Ende des Kalten Krieges verändert und auch die FSLN sei eine andere als früher. Anlässlich einer Spanienreise Ortegas Mitte September erklärte der konservative spanische Ministerpräsident José María Aznar, dass Spanien seine Wirtschaftshilfe auch im Falle eines Wahlsieges der FSLN fortsetzen werde.

 

Vor allem den USA, deren Administration unter George Bush jr. alte Scharfmacher und aktive Contra-Unterstützer aus der Regierungszeit Ronald Reagans und seines Vaters reaktivierte, bietet die FSLN weitreichende Kooperation in Fragen wie beispielsweise der Bekämpfung des Drogenhandels, der Freiheit des Handels und der Garantie des freien Unternehmertums an. Die von Bush geäußerte Furcht vor neuen Diktaturen in Lateinamerika ("Ich weiß, wie die FSLN in den 80er Jahren regierte") konterte Agustín Jarquín mit der Feststellung, auch eine neue Regierung der "Convergencia Nacional" wolle keine Diktaturen, wie die USA sie früher unterstützt habe. Die guten Beziehungen zu Cuba und anderen, den USA nicht genehmen Staaten werde man aufrecht erhalten, so wie zu allen anderen Ländern.

 

Daniel Ortega erklärte, im Falle eines Wahlsieges werde es keine FSLN-Regierung geben, sondern eine Regierung der "Convergencia Nacional", eine Regierung aller Nicaraguaner(innen). Auf die im Wahlkampf benutzte Symbolfarbe der FSLN (ein blasses Rot) angesprochen, sagte er: "Das ist die Farbe der Chicha (alkoholhaltiges Maisgetränk), die uns allen so gut schmeckt." Ob die 2,5 Millionen wahlberechtigten Nicas wirklich so sehr auf "Chicha" stehen oder doch lieber Rot (PLC) oder Grün (PC) wählen werden - am 5. November werden wir es wissen.

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